Der Unterschied zwischen den Symptomen des Geisteszustand und
denen einer Geisteserkrankung
Der veränderte geistige Zustand des Patienten während einer
Erkrankung bietet uns Geistessymptome, obwohl der Geist nicht ursächlich
erkrankt ist. Aber während einer Geisteserkrankung erhalten wir ebenfalls
Geistessymptome. Die Geistesymptome z. B., die wir während der Anamnese
bei Kindern erhalten, sind sehr ausgeprägt. Wenn diese Geistessymptome
Symptome einer Geisteserkrankung wären, müßten diese Kinder
sehr krank sein. In Wirklichkeit aber leiden die meisten dieser Patienten
häufig kaum an ernsthaften Erkrankungen.
Um diesen Umstand aufzuklären, vergegenwärtige man sich, wann
Geistessymptome während der Arzneimittelprüfung und während
einer Erkrankung auftreten.
Kent lehrt uns, daß Geistessymptome während einer Arzneimittelprüfung
zuerst auftreten:
(Kent´s L.* Lecture I, S. 17-18: "All medicines operate upon the
will and understanding first (sometimes extensively on both) affecting
man in his ability to think or to will, and ultimatly upon the tissues,
the functions and sensations."
Andererseits wissen wir durch die Hering-Regeln, daß bei Krankheit
der Geist zuletzt angegriffen wird:
-
Krankheiten heilen von innen nach außen
-
Krankheiten heilen von oben nach unten
-
Krankheiten heilen in umgekehrter Reihenfolge ihres Entstehens *
Logischerweise entstehen Krankheiten in umgekehrter Reihenfolge.
-
Krankheiten entstehen von außen nach innen
-
Krankheiten entstehen von unten nach oben
-
Krankheiten entstehen von unwesentlichen Organen zu wesentlichen Organen
**
Die Arzneimittelprüfung ist aber als Kunstkrankheit durchaus mit dem
Entstehen einer natürlichen Krankheit vergleichbar. Dieser vermeintliche
Widerspruch läßt sich durch ein Beispiel auflösen: Angenommen,
wir betrachten einen Lycopodium-Patienten, der eine Disposition zu Ekzem,
Asthma und Neurose hat, dann wird er
bei starker Vitalität im Krankheitsfall folgendes Symptomenmuster
entwickeln:
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Mangel an Selbstbewußtsein
-
Verlangen nach Süßem
-
Ekzem, Juckreiz verschlimmert zwischen 4 und 8 Uhr abends;
bei minder starker Vitalität folgendes Symptomenmuster entwickeln:
-
Mangel an Selbstbewußtsein
-
Verlangen nach Süßem
-
Asthma, Atemnot verschlimmert zwischen 4 und 8 Uhr abends
bei schwacher Vitalität folgendes Symptomenmuster entwickeln:
-
Mangel an Selbstbewußtsein
-
Verlangen nach Süßem
-
Angst verschlimmert zwischen 4 und 8 Uhr abends
Wir sehen an diesem Beispiel, daß, obwohl der Geistes- und Allgemeinzustand
der gleiche bleibt, die Erkrankung von der Peripherie zum Zentrum fortschreitet
und der Geist zuletzt betroffen ist, wenn die Vitalität des Patienten
schwächer wird.
Der Geisteszustand ist ein Allgemeinsymptom, in der Fallbewertung ein
sehr hochrangiges Symptom. Die Geistessymptome einer Geisteserkrankung
aber sind ein Lokalsymptom und nur von untergeordneter Bedeutung.
Woran erkennt man, ob es sich bei dem vorliegenden Geistessymptom um
den Geisteszustand oder um das Symptom einer Geisteserkrankung handelt?
Die nun folgenden Hinweise sollen als allgemeine Vorschläge verstanden
werden und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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Die Geistessymptome, die schon vorhanden waren, bevor der Geist prominent
betroffen war, gehören in der Regel zum Geisteszustand.
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Die Geistessymptome, die klinisch zu einer Geisteserkrankung gehören
(z.B. Symptome der Identitätsspaltung bei Schizophrenie), gehören
in der Regel nicht zum Geisteszustand, sondern sind Symptome der Geisteserkrankung.
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Die Geistessymptome, die eine physische Modalität aufweisen (z.B.
Angst gebessert durch Bewegung), zeigen an, daß die Störung
lokal ist. Es sind in der Regel Symptome einer Geisteserkrankung.
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Geistessymptome, die von der überwiegenden Mehrzahl der Prüfer
entwickelt wurden, gehören in der Regel zum Geisteszustand, wohingegen
die Symptome, die nur von ein oder zwei Prüfern entwickelt wurden,
eher der Erkrankung des Geistes zuzuordnen sind (der Prüfer entwickelt
Symptome entsprechend seiner individuellen Disposition). Zum Beispiel:
bei einem Patienten, der viele Allgemeinsymptome von Belladonna und "Furcht
vor Licht und Geräuschen hat (Schlüsselsymptom von Bell.)", gehört
Furcht vor Licht und Geräuschen zu seinem Geisteszustand, da fast
alle Prüfer dieses Symptom entwickelt haben. Wenn allerdings derselbe
Patient das Symptom: "Anstatt zu essen, worum er gebeten hat, beißt
er in den Holzlöffel" entwickelt, gehört dieses Symptom eher
zu einer Geisteserkrankung, da in der Prüfung von Belladonna nur ein
Prüfer dieses Symptom entwickelt hat.
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Bei einer Geisteserkrankung bietet der Patient hauptsächlicht Geistessymptome,
die Auswirkungen der Erkrankungen zeigen sich überwiegend auf der
geistigen Ebene. Körpersymptome sind wenig prominent.
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Wenn der Geisteszustand markant ist, wird die Auswirkung der Erkankung
auf der Körperebene zu finden sein.
* "´s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster: Wo sie hereingeschlüpft,
da müssen sie hinaus. Das erste steht uns frei, beim zweiten sind
wir Knechte". (Goethe´s Faust, Mephistopheles zu Faust)
** die Auflistung erfolgt aus didaktischen Gründen, keinesfalls
soll hier ein Gesetz formuliert werden.
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